Spezialitäten? Delikatessen? Kulinarische Kuriositäten? Keiner dieser Begriffe trifft es eigentlich wirklich. Deshalb also: Dinge – mal essbar, mal trinkbar. Lest selbst, was wir in Mexiko entdeckt und gekostet haben. Was davon würdet ihr auch gerne mal probieren?
Calaverita de azúcar (Totenkopf aus Zucker)
Fangen wir mal mit dem harmlosesten an. „Wie? An einem Totenkopf zu knabbern soll das harmloseste sein?!“ Wenn ihr das gerade gedacht habt, wart ihr offenbar noch nie in Mexiko. Totenköpfe gehören dort untrennbar zur Kultur, ja, zum Alltag (und fehlen inzwischen sogar in keinem Souvenirshop). Warum das so ist? In Mexiko wird mit dem Tod anders umgegangen als hierzulande. Ein Mal im Jahr, am 2. November, wird ein fröhliches Fest zu Ehren der Verstorbenen gefeiert, denn man glaubt, dass sie an diesem Tag zu Besuch aus dem Jenseits kommen (davon erzählt der Kinofilm „Coco“ wunderschön – und sogar kindertauglich!). Bunt bemalte Totenköpfe und Skelette sind also in Mexiko allgegenwärtig. Zucker (leider) auch. Also war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee kam, aus Zuckermasse einen bunten Totenkopf zu gießen (ausführlicher erklärt wird der Brauch hier, allerdings auf Spanisch). Geschmacklich ist es tatsächlich einfach nur PAPPSÜß. Aber wenn ihr Kinder habt, werden sie diese ungewöhnliche Süßigkeit sicher so schnell nicht vergessen.
Mango-Blume mit neonbunten Streußeln
Mango am Stiel mit Streußeln? Das klingt erstens wie ein Gericht, das sich Pippi Langstrumpf ausgedacht haben könnte, und zweitens machen bunte Streußel doch so ziemlich jedes Essen toller. Zumindest aus Kinderperspektive ist diese, ähm, Spezialität, also einfach unwiderstehlich. Die kleine Co-Jägerin jedenfalls steuerte den bunten Karren des Straßenverkäufers zielstrebig an und auch ich war neugierig. Also bestellten wir eine Mango am Stiel und beobachteten fasziniert, wie der Verkäufer sie erst flink schälte und dann mit seinem Messer ringsherum so einschnitt, dass sie (mit etwas Phantasie) aussah wie eine gelbe Rose. Dann nahm er einen Löffel und häufte großzügig bunte Streußel darüber. Die bei näherem Hingucken allerdings eher wie neonfarbene Zuckerkristalle aussahen. Ich habe zwar nach der Geschmacksrichtung gefragt, die spanischen Worte aber nicht verstanden. Was aber auch egal war. Denn mit „Blaubeeren“ oder „Himbeeren“ (oder was es gewesen sein mag) ist dieses Pulver garantiert nie in Berührung gekommen. Die bunten Kristalle waren wahrscheinlich auch kein Zucker, sondern Brausepulver. Ein bisschen Chili war irgendwo auch mit drin. Claro. Nach zwei Mal dran Lecken streckte mir die kleine Co-Jägerin das Ding mit entsetztem Blick entgegen. Es sah inzwischen aus, wie ein Punk, dessen Frisur in den Regen gekommen war. Ich nahm ein Taschentuch und konnte das verschmierte Pulver weitgehend abwischen. Schon strahlte meine Tochter wieder und verputzte ihr Lieblingsobst. Das sich am Stiel übrigens wirklich hervorragend und fast ohne klebrige Finger essen lässt.
Huitlacoche (Maisbeulenbrand)
Es kann auch Vorteile habe, wenn man in Mexiko ist und kein oder nur wenig Spanisch spricht. Dann weiß man nämlich nicht, dass Huitlacoche übersetzt Maisbeulenbrand bedeutet. Wie der Name ahnen lässt, ist das eine Krankheit – und zwar eine ziemlich hässliche. Sie befällt junge Maispflanzen, deren Kolben daraufhin keine hübschen, orange-gelben, gleichmäßigen Körner ausbilden, sondern so aussehen, als hätte man sie auf einem Feld neben einem havarierten Atomkraftwerk gepflanzt. Bläulich-grau und unförmig schwellen die Körner an, bis sie irgendwann so groß und reif geworden sind, dass sie aufplatzen und staubige Sporen freigeben. Irks!!! Bauern auf der ganzen Welt bekämpfen den Maisbeulenbrand wie die Pest. Verständlicherweise, sollte man meinen… Bis man nach Mexiko kommt und, womöglich nichtsahnend, einen mit Huitlacoche gefüllten Taco vorgesetzt bekommt. Und feststellt: Das schmeckt ja richtig gut! Völlig zu Recht gelten die Beulen in Mexiko als Edelpilze. Natürlich werden sie rechtzeitig geerntet, solange sie noch saftig sind – ähnlich wie hierzulande der unter Feinschmeckern beliebte Bovist.
Tacos de Cabeza (Tacos vom Schädel)
Auch für dieses schnelle, sättigende Gericht gilt: Wenn man nicht weiß, was es ist, schmeckt es besser. Denn die kleinen Fleischhappen auf dem Taco sind butterzart und aromatisch. Man wundert sich dann vielleicht nur, warum auch so viele fettige Bröckchen dabei sind. Die simple Erklärung: Es handelt sich dabei um Fleisch, das vom weich gekochten Rinderschädel gekratzt und klein geschnippelt wurde. Für die meisten hierzulande sozialisierten Menschen ist das eine ungewohnte bis eklige Vorstellung, den Schädel (naja, Teile davon) mitzuessen. Aber ganz ehrlich: So ein Tier besteht halt nicht nur aus Filet. Also: Ran an den Speck! Mit nem Klacks roter oder grüner Chilisoße drauf schmeckt’s nochmal so gut.
Chicharrón (frittierte Schweineschwarte)
Speck und überhaupt fettiges Zeug ist nicht so Dein Fall? Dann solltest Du einen großen Bogen um diesen Snack machen. Er besteht nämlich zu 100% aus Fett. Das Heimtückische daran ist: Man sieht es den goldgelb gebackenen, knusprigen Happen, die auf den ersten Blick an ein Wiener Schnitzel erinnern, nicht an. Beim ersten Biss, wenn die Zunge plötzlich ölig wird, schleicht sich dann so eine Ahnung an. Aber man ignoriert sie, schließlich ist die Konstistenz dieser überdimensionalen Chips so knusprig-leicht wie eine Scheibe Diätknäckebrot. Also sagt man dem freundlichen Verkäufer, der lächelnd darauf wartet, ob einem der angebotene Probehappen schmeckt: „Geben Sie mir eine Tüte davon.“ Steckt nichtsahnend die frittierten Fetthappen in den Rucksack und spaziert weiter. Spätestens dann aber, wenn man diese Plastiktüte wieder hervorholt und öffnet, gibt es keinen Zweifel mehr. Bääääm! Steht auf einmal eine intensive Geruchssäule nach Wutz im Raum. Und an der Innenseite der Tüte hat sich ein öliger Film abgesetzt. Aber dann ist es bereits zu spät. Wer schon mal „nur EINEN Chips“ aus der angebotenen Tüte essen wollte, weiß, wovon ich rede.
Pulque („das Bier der Azteken“)
Nach dieser mexikanischen Spezialität, die schon in prä-kolumbianischen Zeiten gebraut wurde, muss man tatsächlich suchen. Und es lohnt sich – auch wenn sie dem ein oder anderen nur die Erkenntnis beschert, dass dieses Getränk wirklich einzigartig ist. Es wird nämlich aus fermentiertem Agavensaft hergestellt, genauer gesagt: Aus dem Herz einer mindestens 10-15 Jahre alten Pflanze. Flo hatte mich mit seiner Schwärmerei vom „besten alkoholischen Getränk seines Lebens“ so neugierig gemacht, dass ich das „Bier der Azteken“ unbedingt auch probieren wollte. In Cholula (Bundesstaat Puebla) hatte ich Glück: In einem Restaurant stand Pulque pur und mit verschiedenen Fruchtaromen versetzt auf der Karte. Wir waren eine ganze Gruppe, alle außer mir Einheimische, aber nur einer hatte bisher Pulque probiert. Also bestellten wir mehrere Humpen in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Die erste Überraschung: Das Getränk hatte die Konsistenz von Tapetenkleister. Zweite Überraschung: Es bitzelte leicht auf der Zunge und schmeckte säuerlich-vergorenen. SEHR gewöhnungsbedürftig. Ich habe dann tapfer noch zwei, drei weitere Schlucke genommen, auch vom fruchtigen Pulque meiner Begleiter, das allerdings eher nach künstlichen Aromen als nach Frucht schmeckte (und obendrein säuerlich-vergoren). Mein Fall war es nicht. Um die Ehre dieses mexikanischen Kulturgutes zu retten, muss ich allerdings noch dazu sagen, dass Pulque immer ein bisschen anders schmeckt. Je länger es reift, desto dickflüssiger und alkoholischer wird es, bis es nach etwa einer Woche „kippt“ und nicht mehr genießbar ist. Vielleicht war unseres einfach schon fast eine Woche alt?
Chapulines (Grashüpfer)
Bei Insekten ziehen viele Menschen ihre Ekelgrenze, bei mir war das bislang auch so. Bis ich nach Mexiko kam. Denn die frittierten Grashüpfer, die auf den Märkten in Oaxaca bergeweise angeboten werden, haben nichts, aber auch gar nichts mit den frittierten Skorpionen und Riesenspinnen zu tun, die sich betrunkene Touristen auf der Khao San Road in Bangkok als Mutprobe einverleiben. Denn erstens: Sie sind so klein, dass sich der Ekelfaktor tatsächlich in Grenzen hält. Bei der abgepackten Gourmet-Variante, die uns in der Silvesternacht von einem mexikanischen Partygast angeboten wurde, hatte man sogar die Beine bereits entfernt (die ähnlich unangenehm im Hals hängen wie Fischgräten, wenn man den Anfängerfehler begeht, und sie mit isst). Was ich aus der Plastikdose fischte, sah daher kaum noch aus wie eine Heuschrecke, und es schmeckte, ungelogen!, wie knuspriger Bacon. Das ist auch der zweite Grund, warum ihr Chapulines zumindest eine Chance geben solltet. Die Dinger sind köstlich! Je nachdem wie sie zubereitet wurden, schmecken sie pikant, feurig, säuerlich, nach Knoblauch usw. Man kann sich auf dem Markt ein Tütchen voll abfüllen lassen und sie einfach so weg snacken. Die kleine Co-Jägerin hatte dabei übrigens noch weniger Berührungsängste als ich. Oder man verwendet sie als Zutat, um einem Gericht eine zusätzliche, interessante Textur zu geben. In der Silvesternacht haben wir Cracker mit Frischkäse und Chapulines gegessen (Foto oben). Die perfekten Party-Happen!
Habt ihr jetzt Appetit bekommen? Oder eher das Grausen?
Was davon würdet ihr gerne mal probieren oder habt es womöglich schon mal?
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