Endlich ist es mal wieder richtig Sommer! Wir sind erst seit vier Tagen unterwegs, aber bei Temperaturen über 30 Grad ist Chillen zum Reisedogma geworden: Vormittags sind wir einfach so faul wie möglich (nur die kleine Co-Jägerin stromert mit schier endloser Energie auf unserem jeweiligen Gastgeberhof herum), Mittags lassen wir uns den Fahrtwind ins Gesicht blasen und fahren ein Stückchen weiter (während unsere jüngste Mitreisende ein Schläfchen hält) und am Nachmittag kühlen wir unsere Betriebstemperatur an einem Gewässer herunter, das sich möglichst nah an unserem Tagesziel befindet, wo wir anschließend lecker essen und den Abend mit einem Bier aus der Region ausklingen lassen.
Den Gerstensaft habe ich ja sozusagen im Blut, schließlich stammt die größere Hälfte meiner Familie aus Franken. Und genau da soll uns die zweite Etappe unserer Tour hinführen: in jene Region im Königreich des Bieres, wo nahezu jede Ortschaft seine eigene Brauerei besitzt.
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Traditionell und herzlich: Trebgast
Trebgast ist ein hübscher Ort in Oberfranken mit Fachwerkhäusern, geraniengeschmückten Balkonen, einem EU-Badegewässer (was auch immer das heißen mag – der See war jedenfalls gut besucht, aber leider nicht besonders kühl), einer guten Metzgerei und einem Tante-Emma-Lädchen, in dem wir verzweifelt diese wiederlichen von der Decke baumelnden Klebefliegenfallen kaufen und uns der Inhaber freundlich „einen guten Fang“ wünscht. Wobei er das natürlich fränkisch (beziehungsweise: fränggisch) eingefärbt sagt – eine Mundart, die ich trotz meiner familiären Wurzeln nicht beherrsche, aber sehr gerne höre und auch verstehe (später, als wir in die Oberpfalz kommen, muss der dialektgestählte Co-Jäger hin und wieder dolmetschen).
„Hopfengärtla“ steht auf dem Schild, das die Treppe hinauf zum Biergarten der Brauerei Haberstumpf zeigt, unserer ersten Station auf dem Bierpilgerpfad. Klingt das nicht einladend? Von dort oben schweift unser Blick über das Dorf mit dem markanten Kirchturm, über sanft gewellte Wiesen, Äcker, Wald und Hügel und landet schließlich bei dem Gewitterwolkengebirge, das sich am Horizont aufgebaut hat. Ein bisschen Zeit bleibt noch, bis es losgeht. Wir haben auch schon unseren Stellplatz auf einem kleinen Waldparkplatz oberhalb der Brauerei gefunden und können uns jetzt in Ruhe der Auswahl unseres Sundowners widmen.
Vier Biere gibt es vom Fass, erklärt uns die junge Braumeisterin des Hauses, Yvonne Wernlein, die an diesem Abend auch zapft und den Service macht und sich trotzdem Zeit für einen kleinen Schwatz mit uns nimmt. Wir entscheiden uns für das Aecht’s Haberstumpf Zwick’l, ein hefetrübes, süffiges Helles, und die Schwarze Kunni, ein dunkles Bio-Bier. Beide sind mit Hopfen und Malz aus der Region gebraut und mit Wasser aus dem eigenen, 75 Meter tiefen Brunnen. Sie sind leicht genug für diesen brütendheißen Sommerabend, schmecken aber trotzdem vollmundig und aromatisch. Mein Favorit ist das Dunkle: herb, nur leicht süß, malzig-karamellig mit Röstaromen.
An diesem Abend haben wir Nachbarn: eine Familie aus Leipzig mit zwei Kindern, der Sohn so alt wie unsere Tochter. Die beiden verstehen sich auf Anhieb, zeigen sich gegenseitig ihr rollendes Zuhause und spielen mit allem, was sie rund um die Busse entdecken. Wir spannen Planen zwischen die beiden T3s, und als das Gewitter herangezogen ist, sitzen wir alle darunter, lauschen dem Regen und Donnergrollen, trinken gutes Bier und ducken uns lachend vor den Wasserfällen weg, die regelmäßig an den Seiten unseres Behelfsdaches herunter stürzen. Wie schade, dass die Leipziger am nächsten Tag schon nach Hause fahren!
Craft Beer seit über 140 Jahren: Weiher
In Weiher, einer Ansammlung weniger Häuser entlang einem Bächlein, umgeben von sanft ansteigenden Feldern, braut die Familie Kundmüller Bier. Rund 100 Jahre lang wurde hier nur ein einziges ausgeschenkt: ein Unfiltriertes, Ungespundenes, Süffiges, mit Rohstoffen aus Franken (an letzterem hat sich bis heute nichts geändert), und das auch nur von Oktober bis März, denn im Sommer arbeiteten alle in der Landwirtschaft. Ohne Kühlung wäre das Bier in den heißen Monaten ohnehin verdorben. Das erzählt uns Oswald Kundmüller, Kaufmann und Biersommelier, der heute zusammen mit seinem Bruder Roland, amtierender Braumeister der Familie und kreativer Kopf, den Betrieb führt.
Beim Blick auf die Karte der Braugaststätte können wir uns das nur schwer vorstellen: Dort sind alleine zehn Biere aufgeführt (und ein Hinweis auf „weitere saisonale Bierspezialitäten“), von denen eines vielversprechender klingt als das nächste: Das naturtrübe Weiherer Keller hat mehrere Goldmedaillen gewonnen, das Pils soll besonders hopfig sein, die Weisse fruchtig, das Bio-Keller-Pils wird als „unser Außergewöhnliches“ bezeichnet und irgendwie lockt mich schon wieder das Dunkle, das hier Urstöffla heißt, und nicht nur bio, sondern auch noch ein Solarbier ist, weil für den Brauprozess ausschließlich Sonnenenergie verwendet wurde. An den Franken-Klassiker, das Rauchbier, das man entweder liebt oder hasst, wollen wir uns erst später wagen – immerhin hat es die meisten Preise von allen eingeheimst.
Sogar ein India Pale Ale, sozusagen die Jakobsmuschel der (überwiegend urbanen) Craft Beer Pilgerer, wird hier im dörflichen Oberfranken gebraut und wenn es stimmt, was uns Oswald Kundmüller erzählt, dann haben sie es tatsächlich geschafft, auch die alteingesessenen Biertrinker für den gewöhnungsbedürftigen, intensiv fruchtigen Hopfengeschmack zu begeistern.
Mit unseren Krügen, in denen das frisch Gezapfte verlockend schäumt und das uns trotz Mega-Andrang superflink und freundlich über den Tresen gereicht wurde, setzen wir uns dann in den Biergarten – weil an diesem herrlichen Hochsommerabend auch der letzte Platz belegt ist, kurzerhand neben einen alten Gärbottich auf die Wiese. Und während die kleine Co-Jägerin sich unter die vielen Kinder mischt, die hier Ziegen und Kaninchen streicheln, schaukeln, im Sand buddeln oder sich um die Seilbahn drängeln, genießen wir das beste Bier, das wir auf dieser Reise trinken werden.
Als uns der Trubel irgendwann zu viel wird, spazieren wir ein paar Schritte den Feldweg hinauf zu unserem Bus, der auf einer kleinen Wiese hinter einem Maisfeld auf uns wartet, gleich oberhalb der inzwischen hochmodernen Brauerei. Hin und wieder brummt es in der großen Halle, Gejuchze schwappt aus dem Biergarten herüber und der Ausblick ist einfach postkartenidyllisch.
Zwischen Fels und Fluss: Essing
Erst auf der Zielgerade zu unserem nächsten Gastgeber wird mir klar, dass ich hier schon einmal war: Kloster Weltenburg lese ich auf einem Schild und erinnere mich plötzlich an eine Radtour, die ich als Teenager mit meinen Eltern durchs Altmühltal machte. Einen völlig verregneten Tag lang fuhren wir mit der Fähre auf der Donau und durch die beeindruckende Weltenburger Enge.
Unser heutiger Stellplatz ist nicht weniger imposant: Er liegt auf einem schmalen Streifen Land zwischen Altmühl und einer Steilklippe, auf dem sich alle Häuser des Dorfes Essing aneinander reihen. Wäre der Co-Jäger kein solcher Millimeterkünstler, dann hätte es unser Bus wohl kaum durch das enge Gässchen geschafft, das zum Biergarten des Brauereigasthofes Schneider hinunter führt, auf dessen Parkplatz wir heute Nacht stehen dürfen.
Die Spezialität des Hauses ist ein Altbayrisches Rotbier, das aus vier verschiedenen Malzen und zwei Hopfensorten aus der Region gebraut wird. Die rote Farbe erhält es dadurch, dass die Malze während des Brauprozesses länger gedarrt (heißt: bei hohen Temperaturen getrocknet) werden. Es schmeckt gut, hat aber nicht so viel Charakter wie die Biere der letzten Tage. Dafür genießen wir eine andere Erfrischung umso mehr: Wie wir da abends im lauschigen Biergarten am Fluss sitzen, müssen wir uns zum ersten Mal, seit wir unterwegs sind, einen Pulli überziehen.
Das Schlaraffenland liegt im Bayrischen Wald
Manche behaupten, im Bayrischen Wald gebe es mehr Spinner als anderswo in Deutschland. Und das ist durchaus anerkennend gemeint. Im hintersten Winkel Bayerns habe sich einst im Schatten des Eisernen Vorhangs, in dichten Wäldern und einsamen Tälern, ein buntes Soziotop aus Aussteigern, Hippies und Hinterwäldlern entwickelt. Wir fühlen uns an die Golden Bay in Neuseeland erinnert. Ein guter Grund, da mal hinzufahren!
Auf dem Wild-Berghof Buchet schaut es dann allerdings so aus, wie man es aus Heimatfilmen kennt. Saftig-grüne Wiesen, dichter Nadelwald, für Großfamilien gebaute wuchtige Holzhäuser, Geranien, Hirschgeweihe, Männer in Lederhosen. Und auf dem weitläufigen Gelände gleich unterhalb unseres Stellplatzes: das größte Hirschwild-Reservat des Bayrischen Waldes. Dass die Welt auch hier nicht in bester Ordnung ist, erfahren wir vom Senior des Familienbetriebes. Überschwänglich begrüßt er die kleine Co-Jägerin, die den großen Hund zu seinen Füßen streicheln möchte, und erzählt uns dann, dass der Gegend eine ganze Generation fehle, die Jungen zögen alle weg.
Als ich später durch den Hofladen stöbere, frage ich mich, was das wohl künftig für das Handwerk der Region bedeutet. Rund 100 Produkte werden hier verkauft, erzählt mir Josef Schmaus, der den Laden führt, und bis auf wenige Ausnahmen werden sie alle von Betrieben hergestellt, die nicht weiter als 30 Kilometer entfernt liegen. In den Regalen stehen Marmeladen, Essige, Bier und Brände, Kräutertees, Gewürze, Senf, Nudeln, Waffeln, Wurst und Schinken, Geschnitztes, Gefilztes und Genähtes, Geweihe und Trachtenmode. Ich bin beeindruckt: Wenn man bedenkt, wie dünn die Gegend besiedelt ist, muss die Liebe zum guten Essen hier besonders groß sein.
Und auch einen guten Absacker weiß man hier durchaus zu schätzen, wenn ich mir die Spirituosen-Auswahl im Hofladen so anschaue, vor allem in der Ausführung „Blutwurz“ und „Bärwurz“. Beide kenne ich nicht und frage daher Josef Schmaus um Rat. Der Bärwurz sei schon sehr speziell, meint er, und nicht jedermanns Geschmack: „Mich erinnert er an Sellerie“ – er schmunzelt – „aber es gibt Leute, die schwören drauf. Die sagen, wenn man den nach dem Essen trinkt, dann sackt auch so eine Gans einfach weg.“ Na, das klingt ja nach einer Wunderwaffe. Ich erinnere mich noch gut, wie sehr mein Magen mal nach dem Verzehr einer schön knusprigen Ente zu kämpfen hatte. Und der Blutwurz? An den könne man sich schon gewöhnen: Der Likör sei viel süßer und vor allem bei den Damen sehr beliebt.
Jetzt muss ich aber doch mal probieren. Ein harter Job, so kurz nach dem Frühstück, das hatten wir zuletzt in Rumänien, ach nein, in Kirgistan (irgendwann werde ich diese Geschichten mal im Blog erzählen). Deshalb nippe ich auch nur kurz und trinke direkt Wasser hinterher. Ein Trick, den wir beim Wodka-Trinken mit Profis gelernt haben. Und tatsächlich bin ich anschließend nüchtern genug, um meinen Einkauf mit Contenance und einer soliden Auswahl zu Ende zu bringen: Löwenzahn-Marmelade, Waldfruchtessig, Leinsamen-Nudeln, Leberknödelgewürz, geräucherter Schinken und Kaminwurzen vom Hirsch, Bratenfleisch im Glas, eine Bio-Weisse und letztlich sowohl ein Flascherl Bärwurz als auch Blutwurz. Das alles findet neben dem stattlichen Biersortiment, welches wir in den Brauereien Kundmüller und Haberstumpf gekauft haben, gerade noch so in der Vorratskiste unter unserer Rückbank Platz. Mal schauen, wie viele dieser Leckereien es überhaupt bis nach Berlin schaffen …
Brauerei Haberstumpf und Bräuschänke
Bergstraße 31, 95367 Trebgast, Tel. 09227/ 351
Brauereibesichtigung auf Anfrage möglich!
Brauerei-Gasthof Kundmüller
Weiher 13, 96191 Viereth-Trunstadt, Tel. 09503/ 4338
Brauereigasthof Schneider
Altmühlgasse 10, 93343 Essing, Tel. 09447/ 91800
Brauereiführung mit Weißwurstfrühstück buchbar.
Wild-Berghof Buchet
Buchet 2, 94505 Bernried, Tel. 09905/ 248
Im Online-Shop bekommt man leider nur die eigenen Produkte des Hofes: Salami, Schinken und Kaminwurzen vom Hirsch.
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