Leise knarzend bringt uns eine Fahrradrikscha durch die Nacht, den sandig-weichen Weg hinunter, der zum Hafen von Bagan führt. Als wir dort ankommen, sehen wir unser Schiff vor Anker liegen, einen großen Stahlkahn, aber keine weiteren Passagiere. Gerade als wir uns fragen, ob wir uns wohl in der Uhrzeit geirrt haben, winkt uns vom Deck aus jemand zu. Wir gehen über einen schmalen Holzsteg an Bord und entdecken eine einfache Küche, in der sogar schon gewerkelt wird. Wir bekommen einen heißen Tee, den wir genüsslich schlürfen, während wir auf den dunklen, geheimnisvoll wirkenden Fluss schauen.
Als das erste Morgenlicht wenig später über den Horizont kriecht und das Schwarz des Flusses zu einem weichen, nebligen Grau wird, erwacht das Schiff unerwartet zum Leben. Rumpelnd springt der Motor an und mit einer Handvoll Menschen an Bord legt das local boat ab. Später erfahren wir, dass das Schiff kein Echolot besitzt. Die Mannschaft navigiert nach Augenmaß und Erfahrung auf dem Irrawaddy, der jetzt, auf dem Höhepunkt der Trockenzeit, aus mehr Untiefen und Sandbänken als aus schiffbarem Gewässer zu bestehen scheint. Es ist also eine sehr gemächliche Fahrt, die wir unternehmen, aber eine fast ohne Zwischenfälle. Nur ein einziges Mal sitzen wir leicht an einer zu flachen Stelle auf, aber durch Hin- und Herrangieren kommt das Schiff schnell wieder frei.
Ich binde unsere Reisehängematte an eine Querstrebe der niedrigen Überdachung und schaukle sanft hin und her, während der Fluss, der bei Tageslicht eine matschig-brauen Farbe hat, träge an uns vorbei zieht. Die Landschaft ist unspektakulär. Meist sehen wir nur die Böschung und erahnen einen Streifen staubiges Hinterland. Manchmal reichen ein paar Hütten bis ans Ufer heran oder es ist eine Pagode zu erkennen. Aber auf und im Wasser passiert allerhand. Wir sehen Wasserbüffel und Fischerkähne, Frauen, die im Fluss Wäsche waschen, und Kinder, die juchzend in Ufernähe plantschen. Immer wieder begegnen uns riesige Flöße aus hunderten aneinander gebundenen Holzstämmen und einmal sehen wir einen Kahn, so groß wie ein deutsches Einfamilienhaus, der schwer beladen und auch außen mit Haushaltswaren und allerlei Kram behangen ist. Anscheinend besucht er als schwimmendes Kaufhaus die Dörfer entlang des Flusses.
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Der Irrawaddy wird oft als „Lebensader Myanmars“ bezeichnet: Er entspringt im Bergland ganz im Norden, mäandert über 2000 Kilometer quer durchs Land und mündet in einem breiten Delta auf Höhe von Yangon in die Andaman-See. Für uns war klar, dass wir ihn während unseres vierwöchigen Roadtrip ein Stück weit befahren wollen. Eine Flusskreuzfahrt auf einem Touristenschiff passte allerdings weder zu unserer Art zu reisen noch zu unserem Budget. Deshalb freuten wir uns, als wir von dem Boot hörten, das alle paar Tage von Bagan nach Mandalay fährt. Es sei allerdings nicht besonders komfortabel, warnt man uns im Hostel in Bagan. Und wir müssten eine Nacht an Bord verbringen.
Unbequeme Verkehrsmittel können wir aushalten, fanden wir, zwei Tage ohne Duschen notfalls auch. Und unsere Toleranzgrenze was versiffte Klos angeht wurde auf früheren Reisen bereits so weit nach oben geschubst, dass Michael Jordan darunter bequem Limbo tanzen könnte. Was uns hingegen Kopfzerbrechen bereitete, war die Frage, ob wir mit dem Schiff eines staatlichen Unternehmens fahren sollten. Schließlich hatten wir uns vorgenommen, unser Geld möglichst nicht der zweifelhaften Regierung in den Rachen zu werfen, sondern bei den ganz einfachen Leuten, in kleinen Geschäften und bei Straßenhändlern zu kaufen. Aus Mangel an Alternativen und vor allem weil auch die Einheimischen damit fahren, ließen wir uns schließlich doch darauf ein. Eine gute Entscheidung.
Unsere schwimmende Unterkunft für die nächsten zwei Tage ist etwa 40 Meter lang und hat zwei Ebenen, die, bis auf die Kabine des Kapitäns und eine Toilette, einfach aus einer offenen, mit Holzplanken belegten Fläche bestehen. Auf diesen Planken werden wir später auch schlafen, umgeben von burmesischen Großfamilien. Das Klo ist überraschend sauber, allerdings ist es auch nicht mehr als ein winziges Kabuff mit Loch im Boden, durch das man den Fluss sieht. Wir finden ein schönes Plätzchen auf dem Oberdeck, wo man den Motor nicht so sehr riecht und hört. Es ist zum Glück überdacht. Auf beiden Ebenen führt ringsherum nur ein dünnes Geländer, ansonsten ist das Schiff zu den Seiten offen. So sitzen wir recht schattig und luftig, bis uns am Nachmittag doch die tief stehende Sonne grillt.
Wann immer wir irgendwo anlegen, werden wir von fliegenden Händlern erwartet, die sofort an Bord schwärmen. Alleine der Balanceakt auf der schmalen Holzplanke über das Wasser, mit dem großen Warenkorb auf dem Kopf und oft mit Gegenverkehr (das Boot muss ja auch entladen werden), ist ein Schauspiel. Und gegen das wundertütenartige Angebot, das wir hier erleben, sind die Snackbars, die durch deutsche Züge geschoben werden, laaaaaaaangweilig.
Hartgekochte Wachteleier sind eigentlich immer dabei. Anfangs fanden wir sie exotisch, diese winzigen, braun-weiß gemusterten Eier, aber dann haben wir sie als den perfekten Reisesnack schätzen gelernt – hygienisch verpackt und portionierbar. Alles andere ist eine Überraschung. Die Palette reicht von frisch frittierten Hühnerteilen bis zu eingeschweißten Fabrikkuchen. Besonders freue ich mich, wenn ich in einem der Körbe, die da an Bord getragen werde, dampfgegarte, weiche Hefebrötchen entdecke. Sie erinnern mich an Germknödel, aber die Füllung ist eine andere. Am liebsten mag ich sie mit Kokosraspeln und braunem Zucker, aber auch deftig, zum Beispiel mit Hackfleisch oder Bohnenpaste gefüllt, schmecken sie gut.
Warme Mahlzeiten werden direkt an Bord zubereitet: Am Ende des Oberdecks ist eine einfache offene Küche eingerichtet, wo man den ganzen Tag über eine sehr leckere Gemüsesuppe, einen Eintopf mit Fleisch, ein Fischcurry und Reis mit Spiegelei bekommt. Zumindest haben wir diese Gerichte über den Tresen wandern sehen, womöglich gibt es aber noch mehr Auswahl, wenn man sich in der Landessprache verständigen kann. Die meisten burmesischen Fahrgäste haben allerdings ihre superpraktischen stapelbaren Essensträger dabei, in denen Mahlzeiten für ganze Großfamilien Platz finden.
Im Laufe des Tages füllt sich das Schiff, aber obwohl es irgendwann ziemlich voll wird an Deck, verhalten sich die Burmesen unglaublich rücksichtsvoll und achtsam untereinander, so dass jeder sein Plätzchen findet. Es sind auch einige Babys und Kleinkinder an Bord. Fasziniert beobachten wir, wie alle Passagiere kollektiv auf die Kleinen Acht geben, denn das Schiff hat ziemlich wenig Geländer und Schwimmwesten gibt es gar nicht. Wir werden neugierig beäugt, fühlen uns aber weniger als Attraktion als in Chaungtha Beach, wo wir zu Beginn unserer Reise ein paar Tage Strandurlaub gemacht hatten. Und es bleibt mehr Zeit für Plaudereien, zum Beispiel mit Yeye, die mir von ihren Kindern erzählt und mich irgendwann fragt, ob ich Lust hätte, ihre Brieffreundin zu werden. Außer uns sind nur zwei weitere Touristen an Bord: Min und Gyujo, ein Künstlerpärchen aus Seoul (die wir zwei Jahre später in ihrer Heimat besuchen).
Noch vor Einbruch der Dämmerung machen wir bereits für die Nacht fest. Der Hafen besteht aus einer sandigen Böschung und oben drei Buden. Eine davon ist eine Bar, die warmes Bier und Whisky verkauft.
Wir wollen uns die Beine vertreten und spazieren ein Stück am Ufer entlang. Nach ein paar hundert Metern gelangen wir an einen hohen Holzzaun, der ein Dorf umschließt. An dem weit geöffneten Tor steht ein junger Mann und bittet uns mit freundlicher Geste herein. „Mingalaba“, grüßen wir und lächeln und fühlen uns trotzdem ein wenig wie Eindringlinge.
Die Straße, die vom Tor ins Dorf hinein führt, ist unbefestigt, bei jedem Schritt wirbeln wir Staubwolken auf. Die Häuser stehen auf Stelzen, ihre Wände bestehen aus geflochtenen Schilfmatten, die Grundstücke sind mit Bambus oder Gestrüpp umzäunt. Was es mit den vielen Zäunen auf sich hat, verstehen wir, als uns ein paar magere Rinder begegnen, die offenbar frei durchs Dorf stromern dürfen. Wir beobachten einen Mann, der mit einer einfachen Mechanik aus Bambus, einem Seil und einer Klinge Reisstroh kleinhackt. Aus einem anderen Haus dringt burmesische Musik und durch die weit geöffnete Tür sehen wir Kinder eine Choreographie einstudieren. Ein paar Knirpse sind darunter, die noch etwas unbeholfen mittapsen, aber bereits die Fünf- oder Sechsjährigen tanzen anmutig wie kleine Ballerinas. Ein einziges Haus in der Straße ist aus Ziegeln gebaut und von einer Mauer mit Stacheldraht obendrauf umgeben. Wir fragen uns, wer darin wohl lebt.
Als wir an der ersten Straßenecke stehenbleiben, dauert es nicht lange, und wir sind umgeben von Kindern. Sie beobachten uns aufgeregt kichernd und linsen neugierig auf das Display unserer kleinen Kompaktkameras. Wir zeigen ihnen die Fotos, die wir auf dem Schiff gemacht haben (noch mehr Gekicher) und als sie wild gestikulierend darum bitten, selbst einmal fotografieren zu dürfen, und wir unsere Kameras lächelnd aus der Hand geben, lösen wir damit eine größere Fotosession aus. Die Kids fotografieren sich gegenseitig, fotografieren uns, und schließlich posieren sogar ein paar ältere Frauen und halten ihre Enkel strahlend vor die Linse. Dass es inzwischen dämmert und die Fotos verwackeln, trübt die Freude kein bisschen.
Ein Mann spricht uns in sehr gutem Englisch an und stellt sich als der Dorflehrer vor. Er möchte uns zu einem Tee einladen, sagt er, und fügt hinzu: „No danger!“ Wir hatten zwar auch bisher nicht das Gefühl, in Gefahr zu sein, aber es kann ja nie schaden, Sicherheit versprochen zu bekommen. Er führt uns in ein großes, an den Seiten offenes Holzhaus, das offenbar als Café und Gemeinschaftshaus dient. Wir sind überrascht, sogar einen Fernseher zu entdecken. Es läuft gerade ein Jacky Chan-Film, eine ganze Kinderschar sitzt davor, aber kaum betreten wir beiden foreigner, umringt von noch mehr Kindern, das Café, sind wir die Attraktion.
Wir bekommen viele Fragen gestellt: wie uns Myanmar gefällt, wo wir herkommen, ob wir selbst Kinder haben,… und der Lehrer übersetzt geduldig, während wir starken schwarzen Tee, gesüßt mit einer dicken Milch trinken. Irgendwann bemerken wir, wie stockdunkel es außerhalb des Cafés ist. Straßenlaternen gibt es in dem Dorf nicht, nur vereinzelt fällt aus einer Hütte etwas Licht bis auf die Straße davor. Unsere Stirnlampen haben wir im Rucksack auf dem Schiff gelassen. Unser Gastgeber besitzt jedoch eine starke Taschenlampe, mit der er uns bis zum Schiff zurück begleitet. Unterwegs erzählt er, dass an seiner Schule Material für den Unterricht fehlt. Wir lassen uns seine Adresse geben, kaufen gleich in Mandalay die gewünschten Hefte und Stifte und bringen sie zur Post. Dort werden wir allerdings derart misstrauisch zum Inhalt unseres Päckchens befragt, dass wir befürchten, es werde irgendwo „vom Laster fallen“.
Als wir zum Schiff zurück kommen, es ist etwa 20 Uhr, hat sich das Oberdeck bereits in ein Schlaflager verwandelt. Ganze Familien teilen sich eine Reismatte, die kleiner ist als unser Bett zuhause in Berlin. Vorsichtig tasten wir uns zwischen den zusammen gerollten Körpern bis in unsere Ecke vor, die auf wundersame Weise frei geblieben ist, und binden unser Moskitonetz oben an die Dachstreben. Dann strecken auch wir uns auf unserer Reismatte aus und verbringen eine recht angenehme Nacht an Deck. Im ersten Licht des nächsten Morgens werden wir davon geweckt, dass der Schiffsführer donnernd den Motor anlässt. Kurz darauf tuckern wir schon weiter, den Irrawaddy hinauf in Richtung Mandalay.
Abfahrtszeiten des Bootes stehen auf der Seite des burmesischen Ministry of Transport.
Weitere Episoden unserer Myanmar-Reise:
- Yangon, Myanmar: Gold, Diamanten und ein opulentes Mahl
- Chaungtha Beach, Myanmar: Wo ein Bikini für Aufsehen sorgt und wir unser Mittagessen selbst angeln
- Bagan, Myanmar: Tempel, Tempel, Teeblattsalat
- Mandalay: kommt noch
- Hsipaw: kommt noch
- Namshan: kommt noch
- Inle See: kommt noch
Habt ihr euch schon mal gewünscht, ihr hättet Asien vor 30 Jahren erleben können – vor der Ankunft der Backpackerhorden? Wir definitiv. Und unser Wunsch ist in Erfüllung gegangen: in Myanmar! 2012 waren wir vier Wochen lang mit Bus, Zug, Schiff, Ruderboot, Pickup, Sammeltaxi, Fahrradrikscha und Propellermaschine im Land unterwegs, vom Delta des Irrawaddy bis hoch in die Berge nahe der chinesischen Grenze. Während wir dort waren, fand die erste (halbwegs) demokratische Wahl nach jahrzehntelanger Militärdiktatur statt, zu der Aung San Suu Kyi mit ihrer Partei antreten durfte. Wir erlebten die Aufbruchstimmung im Land und lernten wunderbare, hoffnungsvolle und mutige Menschen kennen, die genauso neugierig darauf waren, sich mit uns zu unterhalten, wie wir mit ihnen.
Unsere Reise ist jetzt vier Jahre her und die Zahl der Touristen hat sich seitdem vervielfacht. Investoren kaufen Häuser und Land, internationale Konzerne versuchen den Markt zu erobern. Trotzdem – oder gerade deshalb – würden wir sagen: Besucht Myanmar! Jetzt!
Einige unserer (kulinarischen) Reiseabenteuer erzählen wir in mehreren Episoden hier im Blog – die einzelnen Stationen seht ihr oben auf der Karte.
Wart ihr selbst schon in Myanmar? Vielleicht sogar schon lange vor uns? Seid ihr vielleicht Overlander und mit dem Bulli durchs Land gereist? Oder mit dem Fahrrad? Habt ihr einsame Ecken bereist, die kaum ein Tourist zu sehen bekommt? Oder kennt ihr den besten Street Food Stand des Landes?
Erzählt uns davon – wir freuen uns auf eure Kommentare!
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