Bei einer Wildkräuterführung in Berlin habe ich gelernt, dass Löwenzahn, Brennessel, Gänseblümchen & Co voller gesunder Inhaltstoffe stecken. Echte Superfoods also, und dabei völlig kostenlos! Worauf ihr beim Sammeln und Verspeisen achten müsst, erzähle ich euch hier.
Mitten in Kreuzberg, an der stark befahrenen Urbanstraße, gibt es eine imposante steinerne Toreinfahrt, die einst auf das Gelände der Berliner Wasserbetriebe führte. Das hier ist mein Kiez. Ich bin schon viele, viele Male an der auffälligen Einfahrt vorbei gefahren und habe mich jedes Mal gefragt, was sich wohl dahinter verbirgt. Heute gehe ich hindurch, denn der Treffpunkt für das Wildkräuterseminar ist im Hinterhof.
Als ich um eine Hausecke herum laufe, stehe ich unverhofft auf einer Wiese mit Bäumen, gesäumt von sanierten Backsteingebäuden. „Über das Jahr verteilt wachsen hier über 40 verschiedene essbare Wildkräuter“, hat Carla Groscurth, eine der Inhaberinnen von „Grüne Smoothies“, mir bei der Anmeldung erzählt. Der Laden, in dem das Seminar stattfindet, befindet sich im Souterrain eines der Gebäude. Verkauft werden dort Grüne Smoothies To-Go und tütenweise frische Wildkräuter.
Dank der vielen, historisch bedingten Brachen, in denen die Natur mitten in der Stadt ungestört gedeihen darf, ist die Berliner Flora enorm vielfältig. Trotzdem: 40 verschiedene essbare Wildkräuter alleine in einem überschaubar großen Hinterhof – das finde ich schon unglaublich. Es gibt mir eine erste Idee davon, wie viele leckere und gesunde Kräuter ich wahrscheinlich vor meiner Haustüre sammeln kann, wenn ich mich ein bisschen besser auskenne. Na ja, oder zumindest im nächsten Park. Direkt vor meiner Tür hätte ich doch Bedenken, dass ein Hund drauf gepinkelt hat. Oder dass die Pflanzen zu viele Autoabgase abbekommen haben.
Auch darüber werde ich in dem Wildkräuterseminar etwas erfahren: Welche essbaren, in der Stadt gesammelten Kräuter ich tatsächlich essen kann und wovon ich lieber die Finger lassen sollte.
Zur Begrüßung bekomme ich ein Glas mit einem dickflüssigen grünen Smoothie, den ich sofort probiere. Cremig und überraschend süß schmeckt er, erst im Nachgang tauchen ein paar ungewohnte, leicht bittere Aromen auf. Ich besitze seit Jahren einen Standmixer, in dem ich regelmäßig Smoothies zubereite, auch grüne. Allerdings habe ich bisher keine Wildkräuter verwendet, sondern einfach Obst mit Gemüse kombiniert.
Welche Kräuter sich neben Banane, Avocado, Ingwer und Orangensaft in unseren Smoothies befinden, können wir uns auf einem großen Holztisch anschauen. Dort hat Groscurth jeweils ein Exemplar ausgelegt. Die Brennessel und Taubnessel erkenne ich natürlich, aber auch Giersch und Vogelmiere kommen mir bekannt vor. Die habe ich doch schon oft beim Unkraut Jäten aus meinem Gemeinschaftsgarten-Beet gerupft?!
Etwa 12 Teilnehmer sitzen schließlich auf Bänken in einem Halbkreis um Natascha von Ganski herum, die als Heilpflanzenkundlerin das Seminar leitet. Etwa eine Stunde lang stellt sie uns die am häufigsten in Berlin vorkommenden, essbaren Wildkräuter vor und welche Eigenschaften sie besitzen (unser Wildkräuter-Glossar findet ihr hier). Wir lernen, dass viele „Un“kräuter wahre Superfoods sind, denn sie können unter anderem zellschützende Antioxidantien, pflanzliches Insulin, antibiotisch wirkendes Aukubin, Vitamine und Mineralstoffe enthalten. Und sie kosten den kundigen Sammler, im Gegensatz zu Chia-Samen oder Acai Beeren, keinen Cent.
Löwenzahn etwa regt mit seinen Bitterstoffen das Immunsystem an. Aus vielen konventionellen Lebensmitteln wurden eben diese Bitterstoffe herausgezüchtet, weil „bitter“ das Stiefkind unter den Geschmäckern ist, kaum einer mag es so richtig. Schade eigentlich, wo es offenbar so gesund ist! Dass Gänseblümchen essbar sind, wusste ich wiederum schon – die habe ich bereits als Kind gepflückt und gegessen. Neu ist mir, dass die Blüten viele Schleimstoffe enthalten, die unter anderem bei Gastritis und Reizhusten helfen und die Darmflora gesünder machen können. Und mit der unbeliebten Brennessel kann man sogar eine entgiftende Frühjahrskur machen. Wenn man über die Blätter vorsichtig mit einem Nudelholz rollt, brennen sie nicht mehr und können wie Salat gegessen oder im Smoothie mitgemixt werden.
Anschließend gehen wir raus in den Hof, wo von Ganski uns einige Kräuter zeigt und probieren lässt. Einer der Seminarteilnehmer blättert dabei immer wieder in einem Bestimmungsbuch und zwei Freundinnen mit englischem Akzent erzählen, dass sie Smoothiefans seien und gerade erst Kräuter als Zutat entdeckt haben. Ich kaufe zum Abschluss gleich eine ganze Tüte Wildkräuter (bei „Grüne Smoothies“ für drei Euro erhältlich) und experimentiere in den folgenden Tagen mit fruchtig-wilden Supersmoothies. Die ich übrigens nicht, wie bisher, trinke, sondern löffle. Laut Expertin Carla Groscurth eine gute Alternative, da die gesunden Bestandteile dann besser vom Körper aufgenommen werden können.
- Tipp: Den Smoothie schön dickflüssig mixen, in eine Schüssel geben und z.B. Haferflocken, Leinsamen, Kürbiskerne oder getrocknete Früchte dazu geben. Das Ganze dann als Müsli löffeln und gründlich kauen.
Eine Warnung gibt Natascha von Ganski uns noch mit auf den Weg: Übertreibt es mit der Menge der Kräuter nicht! Denn die darin enthaltenen Wirkstoffe potenzieren sich im Körper und können – gerade bei Neulingen! – zu Durchfall, Erbrechen und sogar Kreislaufstörungen führen. Viel hilft hier nicht viel!
Das betont auch Heidemarie Fritzsche, die jeden ersten Samstag im Monat eine Kräuterwanderung durch den historischen, 26 Hektar großen Schlosspark Buch anbietet. Die 70-Jährige ernährt sich seit über 20 Jahren ausschließlich von Obst, Gemüse und selbst gesammelten Kräutern und sagt, das Interesse an ihren Führungen sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Ohne dass sie Werbung dafür mache, kämen auch schon mal 70 Teilnehmer. Ihr umfassendes Wissen, das sie im Selbststudium und in der Ausbildung zur ganzheitlichen Gesundheits- und Ernährungsberaterin erworben hat, gibt sie gerne „gegen eine Spende als Energieausgleich“ weiter, denn sie sagt: „Ich finde es toll, wenn jeder in der Natur etwas zu essen finden und heile werden kann.“
Fritzsche fing aus der Not heraus mit dem Kräutersammeln an, denn nach der Wende wurde sie arbeitslos, ihr Laden ging pleite, schließlich lebte sie von Sozialhilfe. „Da erinnerte ich mich, wie meine Mutter nach dem Krieg Brennesselsuppe für uns kochte, wir uns Brunnenkresse aufs Brot legten“, erzählt die gebürtige Dresdnerin, die vital und deutlich jünger wirkt, und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: „Ich hab die Wiese abgenagt, weil ich kein Geld mehr hatte, und wurde dadurch immer gesünder und gesünder.“ Fritzsche selbst würde nicht direkt in der Stadt sammeln. Doch sie sagt: „Die Kräuter vom eigenen Balkon sind immer noch besser als die Pestizide, Fungizide und der ganze Mist, den man auf industriell gezüchteten Pflanzen findet.“
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Das kleine 1×1 des Kräutersammelns:
1. Nur Pflanzen pflücken, die man einwandfrei identifizieren kann!
2. Nicht bei Regen sammeln! Am konzentriertesten sind die Wirkstoffe bei Sonnenschein.
3. Maximal eine gehäufte Hand voll Kräuter pro Tag essen, Wirkstoffe potenzieren sich im Körper!
4. Genau hinschauen: Wo machen Hunde ihr Geschäft? Wo fahren viele Autos? Solche Orte meiden.
5. Gründlich waschen, eventuell etwas Natriumbicarbonat mit ins Wasser geben.
Die wichtigsten hiesigen Wildkräuter mit Anwendungsmöglichkeiten und Rezeptideen findet ihr in unserem Glossar.
Wollt ihr jetzt auch Wildkräuter sammeln, aber seid euch nicht sicher, ob ihr sie wirklich erkennt? Dann besucht lieber erst ein Kräuterseminar oder eine geführte Kräuterwanderung! Ich habe einige Anbieter in Berlin zusammengestellt, Termine findet ihr jeweils auf den verlinkten Webseiten:
- Die oben beschriebene Führung mit Natascha von Ganski findet von März bis Oktober im Hof der Urbanstr. 177 in Kreuzberg statt, die genauen Termine gibt sie auf http://www.alcimia.de/heilpflanzenschule/seminare bekannt. Die Kräuterfachfrau bietet in ihrer eigenen Praxis in Zehlendorf auch Fortbildungen zum Thema Heilpflanzen an.
- Kräuterführung im Schlosspark Buch: Bei einem gemütlichen Spaziergang gibt die Kräuterkundlerin Heidemarie Fritzsche eine Einführung in essbare Wildkräuter. Kinder sind herzlich willkommen. Treffpunkt: ganzjährig immer am 1. Samstag im Monat um 13 Uhr am S-Buch, eine Spende ist anschließend willkommen. http://www.wildkraeuterfruehstueck.de/?page_id=30
- Der Gärtnermeister und Heilpraktiker Olaf Tezinski bietet Führungen u.a. auf dem Natur-Park Südgelände und dem Alten St.-Matthäus-Friedhof an. Termine unter http://www.tetzinski.de.
- Das Freilandlabor Britz arbeitet seit 1987 umweltpädagogisch im Britzer Garten und bietet unterschiedliche Wildpflanzenführungen auf dem weitläufigen Gelände an. Termine und Informationen unter http://www.freilandlabor-britz.de
- Verschiedene Berliner Volkshochschulen bieten Wildkräuter-Seminare an. Einfach in die Suchmaske „Wildkräuter“ eingeben: https://www.vhsit.berlin.de/VHSKURSE/BusinessPages/CourseList.aspx.
- Die Gesundheitsberaterin Petra Grünert bietet Wildkräuterführungen, -fahrradtouren und -kochkurse an, aktuelle Termine unter http://www.gesund-ist-besser.de/termine.html
- Steffi bietet Führungen zum Thema heilsame Stadtpflanzen an verschiedenen Orten in Berlin an, aktuelle Termine auf https://www.facebook.com/steffi.fahrrad
- Bei einem Spaziergang in Lobetal (Barnim) zeigt Elisabeth Westphal von der Grünen Liga die Bedeutung und Fähigkeiten unserer Wildkräuter auf. Wer mag, darf auch probieren. Termine unter https://www.grueneliga-berlin.de/themen-projekte2/umweltberatung/kraeuterwanderungen/aktuelle-krauterwanderungstermine
- Heikräuter- und spezielle Kinderkräuterwanderungen bietet Kristin Peters im Erpe- und Briesetal an. Termine können individuell vereinbart werden: http://www.kristin-peters.de/kraeuterwanderung/Berlin/11
- In Falkensee beitet Kräuterfee Tina ein Mal im Monat Exkursionen durch Wald und Wiesen an, bei denen gesammelt und erklärt wird. Wer die Schätze direkt verarbeiten möchte, bucht am besten einen ihrer Workshops, z.B. Wald und Wiesenküche oder Flüssige Geschenke aus der Natur. Alle Termine unter http://www.kraeuterfeetina.de/veranstaltungen
- Wer sich schon auskennt mit Wildkräutern, der kann sich auf der interaktiven Karte von http://mundraub.org die Standorte von Kräutern anzeigen lassen.
Auch in der Gastronomie wird zunehmend mit Wildkräutern gearbeitet. Schaut doch mal hier vorbei:
- Café Botanico, Richardstr. 100, Neukölln: Italienische Küche, auf der Karte steht z.B. Wildkräutersalat, Pasta mit Pesto oder italienisches Wildkräutergemüse aus dem Permakultur-Garten. Gäste dürfen sich dort jederzeit umschauen, etwa zwei Mal im Monat bietet Gärtner Martin Höfft eine Führung an. Termine unter http://www.cafe-botanico.de/termine
- Saftpresse Charlottenburg, Kantstr. 138: Riesige Smoothie-Auswahl, auch mit Wildkräutern. Geöffnet Mo-Sa 8:30-18 Uhr, Tel. 80575281.
- Beim Brunch in der Kräuterkate Glau (Nuthe-Nieplitz-Niederung) kann man gemeinsam mit den beiden ausgebildeten Kräuterpädagoginnen Nicole-Kristina David-Ulrich und Andrea Mrosko Kulinarisches rund ums Thema Wildkräuter, Wildfrüchte, Kräuterliköre und -schnäpse entdecken. Jeden ersten Sonntag im Monat von 10-17 Uhr, Anmeldung erforderlich unter Tel. 0333731/ 700586.
Hast Du schon mal Wildkräuter in der Stadt gesammelt?
Kennst Du eine Kräuterführung, die wir hier unbedingt noch empfehlen sollten?
Oder ein Restaurant, das mit Wildkräutern arbeitet?
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