Wir sind immer noch auf der Südinsel, aber inzwischen von Kaikoura an der Ostküste über mehrere Gebirgszüge und Pässe hinweg gefahren, haben auf DoC-Campsites an kleinen Flüssen gecampt, an denen Sandfly-Armeen alle Eindringlinge in die Flucht zu beißen versuchen (in unserem Fall erfolglos) und sind schließlich im nördlichsten Zipfel angelangt: Golden Bay. Bei einer Bucht mit diesem Namen verwundert es nicht, dass es hier die größte Hippiedichte des Landes gibt. Außerdem Sandstrände, die bei Ebbe bis zum Horizont reichen. Das womöglich beste Wetter der Südinsel. Und wenn man weiß, wo man suchen muss: Muscheln, Muscheln, Muscheln.
Wir sind jetzt schon die dritte Nacht auf einem kleinen Campingplatz im beschaulichen Collingwood (kaum zu glauben, dass dieses Nest einmal als Kandidat für die Hauptstadt des Landes gehandelt wurde), denn es ist hier so schön und entspannt und die Menschen so herzlich, dass wir uns einfach nicht losreißen können. Wir haben einen Stellplatz mit Blick über die Bucht und auf die Bergkette, die sie wie ein unregelmäßiger Scherenschnitt säumt. Direkt vor der Heckklappe unseres Busses plätschern die Wellen an die Felsen. Zumindest tun sie das bei Flut. Bei Ebbe liegt dort gelegentlich ein Seehund und sonnt sich. Bei unserer ersten Begegnung wäre ich fast auf ihn draufgetreten, sein trockenes Fell hat die Farbe der Felsen. Weiter hinten auf dem Campingplatz stehen die großen, vorzeltverstärkten Wohnmobile der Whitebaiter. Ja, auch hier gibt es sie, und sie kosten noch die allerletzten Tage bis zum Saisonende aus. Der Fang in diesem Jahr war gut, erzählen sie mir. Und dazu scheint in der Bay auch noch die Sonne. Das darf man den Kollegen an der West Coast gar nicht erzählen.
Als ich an einem der Picknicktische sitze, komme ich mit David und Polly ins Gespräch. David besitzt eine Farm in der Nähe von Nelson, Polly lebt am East Cape und war früher Köchin (sie ist 77), beide sind zum Whitebaiting hier. Als David zum Strand fährt, um zur Abwechslung ein paar Muscheln zu sammeln, nimmt er mich gerne mit. Da ich keinen Eimer habe, binde ich schnell eine Schnur an unser Sieb, krame meine Gummistiefel heraus und schon fahren wir mit seinem klapprigen Pickup ans andere Ende des Ortes.
Die Flut kommt schon wieder herein, was man jedoch nur an den Prilen erkennt, in denen wir anfangen, nach „Cockles“ zu suchen (ich glaube, es sind Herzmuscheln), das Meer selbst ist bestimmt noch 500 Meter entfernt. David taucht seine Hand in das seichte Wasser, gräbt ein bisschen im Sand herum und schon zieht er eine Muschel heraus, die so groß ist wie der Handteller eines Kleinkindes. Und nochmal. Und nochmal. Jetzt will ich auch mal probieren, tauche mit der Hand in den zum Glück nicht allzu festen Sand, taste ein wenig herum und – hurra! – habe ebenfalls eine gefunden. Jetzt ist mein Jagdfieber erwacht. Eine halbe, dreiviertel Stunde später ist mein Sieb voll. 150 Stück dürfte ich pro Tag sammeln, sagt David. So viele sind es nicht, aber bei der Größe reicht das locker für ein Abendessen.
Als wir in der Campingplatzküche mit dem Kochen beginnen, kommt Polly dazu, inspiziert unseren Fang und übernimmt sofort das Regiment. Berufskrankheit, vermute ich, aber ich finds toll: Privatstunde bei einer Maori-Köchin! Zusammen dampfgaren wir einen Teil der Muscheln in ganz wenig Wasser und essen sie direkt aus der Schale mit etwas Saft von Zitronen, die wir gerade vom Baum gepflückt haben. Unser Baby sitzt begeistert auf der Anrichte daneben und grabscht sich eine (noch ungeöffnete) Muschel nach der anderen aus dem Sieb, um damit zu spielen. Aus den restlichen Muscheln wollen wir Pfannküchlein backen. Auf Pollys Geheiß stemmen wir sie roh auf (mit einem Buttermesser, gar nicht so einfach) – sie sollen nicht doppelt gekocht werden, das schadet dem Aroma. Wir holen das Fleisch heraus, schneiden es klein und vermengen es mit einer Ei-Mehl-Knoblauch-Mischung. „You have to fold the batter“, sagt Polly und so hebe ich die Mischung mit einem Teigspatel immer wieder vorsichtig in der Schüssel herum, bis die Konsistenz sie zufriedenstellt. Dann braten wir die Muschelpfannküchlein in Butter und tröpfeln auch hier nur ein bisschen Zitronensaft drüber. Selten haben mir Muscheln so gut geschmeckt.
Als ich Polly erzähle, dass man in Deutschland fürs Fischen und Jagen Lizenzen und eine Art „Führerschein“ braucht, kann sie es gar nicht glauben. Und ich frage mich: Gibt (oder gab?) es möglicherweise auch bei uns Strände, an denen man einfach so Muscheln sammeln darf? Das Wattenmeer ist ja, soviel ich weiß, in Deutschland geschützt, und bei unserer Bevölkerungsdichte wären die dort lebenden Muscheln wahrscheinlich ratz fatz abgegrast. Aber vielleicht weiß es ja einer meiner Leser genauer?
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