Träge vom Essen und vom Jetlag liege ich auf dem Bett in meiner kleinen Pension. Zum weit geöffneten Fenster kommt eine warme Brise und ein vielstimmiges Grillenkonzert herein und mein Blick schweift übers Meer bis zu den Lichtern Incheons, die auf der anderen Seite der Bucht funkeln. Auf der Zunge habe ich noch den Geschmack von frischen Muscheln, die ich in Soja- und Tomatensauce mit einem Klacks Wasabi getunkt habe, das intensive Meeraroma des Algensalats, die Süße des Erdnuss-plus-X-Dips, die prima zu den Karottensticks passte, die feine Schärfe des Kimchi und die ölige Wärme eines Reismehl-Gemüse-Pfannkuchens.
Wer wie ich nur einen kleinen Magen hat, aber trotzdem am liebsten immer alles auf der Karte probieren möchte, hat in Korea Glück: Hier gehören zu jedem Essen unzählige Beilagen. Unser Hauptgericht: in einem Gemüsesud gegarte Herz- und Jakobsmuscheln, Shrimps, Meeresschnecken, Taschenkrebs und irgendein Meeresgetier, das wie eine Kaktusfeige mit Wurzeln aussah (und zum Glück bereits filetiert serviert wurde). Der Ausflug den Hügel hinunter, auf dem unsere Pension sich befindet, und auf die andere Seite der Insel, wo der Hanagae Beach liegt, hat sich gelohnt. Jetzt darf ich mich getrost wieder der Müdigkeit hingeben, die ein Langstreckenflug mit Zeitverschiebung und eine erst wenige Monate alte Reisegefährtin so mit sich bringen. Und mich dazu beglückwünschen, dass wir unseren dreitägigen Stopover auf dem Weg nach Neuseeland nicht in einer asiatischen Millionenmetropole, sondern auf einer süditalienisch anmutenden kleinen Insel verbringen.
[nggallery id=3]
Muuido liegt nur einen Katzensprung von Seouls internationalem Flughafen Incheon entfernt, genauer gesagt: zehn Minuten mit dem Taxi plus eine Fährüberfahrt, die so kurz ist, dass es sich kaum lohnt, die steilen Stufen zum Passagierdeck hinaufzusteigen. Und während ich beim Landeanflug auf dem Festland nur ein gigantisches Industriegebiet ausmachen konnte und mich das hügelige Hinterland mit den hinein gestreuten Hochhaussiedlungen an das nachlässig rasierte Gesicht eines alten Mannes erinnerte, kommt Muuido nun als echte Überraschung daher: Die üppig grüne, hügelige Insel misst nur ein paar Kilometer in Länge und Breite, über die sich eine Hand voll schmaler Straßen schlängeln. Hier hat beinahe jedes Haus einen Garten, in dem jetzt, Mitte September, Kürbisse und Unmengen knallroter Chilischoten wachsen, und neben den Eingangstüren stehen die typischen, großen, bauchigen Tontöpfe, in denen Kimchi angesetzt wird. Alle halbe Stunde fährt ein Bus vom Hafen ab, der aus nicht mehr als einem kleinen Wendekreis und drei, vier Restaurants und Minisupermärkten besteht. Wir sagen dem Fahrer den Namen unserer Pension (woraufhin er nickt) und da wir den Fahrpreis nicht verstehen, werfen wir eben so lange Geld in den Automaten hinter ihm, bis die koreanische Computerstimme nicht mehr meckert. Einige Steigungen und Haarnadelkurven später werden wir tatsächlich direkt vor unserer Pension herausgelassen, die inmitten von Krüppelkiefern oben auf dem Hügel liegt.
Es war eine gute Entscheidung, die Anreise nach Neuseeland auf halber Strecke zu unterbrechen. 24 Stunden reine Flugzeit von Frankfurt nach Christchurch plus Umsteigen und die Anfahrt mit dem Zug ab Berlin sind schon für einen Erwachsenen anstrengend. Und wir haben auch noch ein Baby dabei. Für Korea haben wir uns letztlich entschieden, weil es ein ähnliches Klima wie Deutschland hat (Singapur, Bangkok oder Dubai kamen für uns dieses Mal nicht infrage). Dass Muuido so eine gute Wahl sein würde, konnten wir jedoch nur ahnen: Im Reiseführer standen nur ein paar Sätze darüber und die Inhaber unserer Pension verstanden gerade so viel Englisch, dass wir ein Zimmer reservieren konnten. Aber wir hatten den Blogpost einer jungen Koreanerin aus Seoul gefunden, in dem sie von ihrem Wochenendtrip nach Muudio schwärmte, wo sie mit ihren Freunden bei Ebbe Muscheln im Schlick gesammelt und anschließend in einem der Restaurants am Strand hatte zubereiten lassen. Das klang vielversprechend.
Müde wie wir waren, haben wir dann allerdings nur einen kleinen Spaziergang am Hanagae Beach entlang gemacht (und dabei ein paar exotische Schneckengehäuse und Muscheln aufgelesen). Unser Essen haben andere für uns gefangen: Es wartete bereits, noch lebend, in kleinen Aquarien in den Auslagen der Restaurants auf uns, von denen es entlang des Strandes einige gab. Wir mussten nur noch darauf zeigen und ehe wir uns versahen, hatte die Köchin auch schon ein opulentes Mahl daraus gezaubert. Das brachte sie dann auch selbst an unseren Tisch, wo sie erst ein bisschen mit unserem Baby schäkerte und uns dann zeigte, dass wir Wasabi in die Saucen rühren sollen, bevor wir die Muscheln hineindippen, und wie wir die Krebsbeine aufknacken und auszuzzeln können. Die ersten Stücke gab sie jeweils Johannes zum Probieren, was er so lange super fand, bis es an die Meeresschnecke ging, die etwa die Größe einer Kleinkindfaust hatte. Geschickt pulte unsere Gastgeberin das Tier mit einem Essstäbchen aus seinem Gehäuse, bis es schließlich mit einem satten Glitschgeräusch herausglitt und einer langen, gezwirbelten Zunge gleich vor uns lag. Beherzt zerlegte sie es mit einer Küchenschere und reichte Johannes ein Stück zum Probieren. Von seinem enthusiastischen „Mmmmh“ geködert, sagte ich mir, das Auge muss ja nicht immer mitessen, und ließ mir von ihm einen unförmigen Brocken in den Mund schieben. Der Geschmack war in Ordnung – fischig mit leckerer Sauce – aber das Stück ließ sich kaum zerkauen und fühlte sich irgendwie knorpelig an. Ich meine, ich hätte auch etwas röhrenförmiges herauswippen sehen. Aber ich brachte nicht über mich, es vor den Augen unserer freundlichen Wirtin in eine Serviette zu spucken, also spülte ich es mit reichlich süßer Limo herunter. Allerdings ohne „Mmmmh“. Solche Feinheiten gingen an ihr jedoch vorüber. Lächelnd machte sie sich daran, auch die anderen vier Exemplare aus dem Topf zu fischen, aus ihren Gehäusen zu pulen, zu zerlegen und Johannes auf die anderen Filetstücke der Schnecke hinzuweisen. Plötzlich war ich ganz froh, nicht die Ehrengastbehandlung bekommen zu haben – und machte mich über die Jakobsmuscheln her. Der riesige Pott mit Meeresfrüchten samt Beilagen und Getränken kostete übrigens weniger als 50 Euro.
Schreibe einen Kommentar