Am Anfang stand unser Wunsch, in die Berge zu fahren. In die tief verschneiten Berge wohlgemerkt. Vor meinem inneren Auge sah ich uns auf einsamen Waldwegen wandern, die Stiefel knirschen im Schnee, die kleine Co-Jägerin eingemummelt auf einem Schlitten hinter uns, hin und wieder fällt eine Ladung Pulverschnee von den dick beladenen Zweigen der Bäume rechts und links des Weges. Wohlig erschöpft kehren wir dann in eine Hütte ein, essen lecker und saußen auf unseren Schlitten wieder den Berg hinunter. Auch eine Fahrt im Pferdeschlitten mogelte sich hin und wieder in diese Urlaubsphantasie. Ski beziehungsweise Snowboard fahren wollten wir hingegen nicht. Was man sich halt so ausmalt – und dann kommt es doch anders. Aber dazu später.
Beim Stichwort „Berge“ schaut man ja hierzulande reflexhaft in Richtung Alpen, das einzige echte Gebirge, das Deutschland zu bieten hat. Und als Berliner seufzt man dann abgrundtief, weil sich die Anreise dorthin eigentlich nur mit dem Flugzeug lohnt. Wir wollten aber mit unserem Bulli verreisen, um mobil zu sein und verlorene Schmätze jagen zu können. Außerdem wollten wir für einen kurzen Winterurlaub kein halbes Vermögen ausgeben. Kurz dachten wir an Oberwiesenthal im sächsischen Erzgebirge, immerhin Deutschlands höchst gelegene Stadt, die mit dem Fichtelberg einen Zwölfhunderter vor der Tür stehen hat, aber dann fiel mir ein, dass bei meinen letzten Besuchen die Piste mit Hits wie „Zehn nackte Friseusen“ beschallt wurde. Auf Hüttengaudi hatten wir so gar keine Lust. Die Hohe Tatra fiel uns noch ein, da waren wir schon mal im Sommer, aber die Anreise war uns für eine Urlaubswoche zu weit.
Und dann tauchte das Riesengebirge auf. Also: in unserer Wahrnehmung. Erstaunt stellten wir fest, dass diese Bergkette nicht nur in gemütlichen vier Stunden von Berlin zu erreichen ist, sondern auch so groß, dass es da eine ganze Reihe Wintersportorte gibt. Und dass schon meine (in Schlesien aufgewachsenen) Großeltern da gerne Urlaub machten. Tja, klarer Fall von West-Sozialisierung. Meine geschätzte Reiseblogger-Kollegin Jenny aus Dresden, war nämlich auch schon oft dort und hatte direkt ein paar (kulinarische) Tipps für uns.
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Blieb nur noch die Frage: Wie finden wir einen Wintersportort, der zu uns passt?
Meine tschechische Freundin Markéta, selbst Mutter von zwei kleinen Kindern und jeden Winter im Riesengebirge, empfahl uns Bedrichov und Harrachov. Wir waren allerdings so kurzentschlossen, dass die Pensionen alle schon ausgebucht waren – zumindest die, deren Webseite auf Englisch oder Deutsch übersetzt war. Dadurch wissen wir aber, dass es sehr viele familien- und kinderfreundliche Unterkünfte gibt. Einige sogar mit offenem Kamin im Speisesaal (der hat in meiner Winterurlaubsphantasie ebenfalls eine feste Rolle). Schließlich entdeckten wir ein supersüßes Apartment in Bedrichov auf AirBnB, das sich als Volltreffer erwies.
Mitte Februar rollt unser Bulli also von Berlin gen Osten. Das erste Stück auf der Autobahn, dann gemütlich auf der Landstraße durchs östliche Brandenburg und Sachsen. Bei Bad Muskau kommt uns ein tief fliegender Militärhubschrauber entgegen, der so unverhofft über dem Wald auftaucht (in dem sich ein großer Truppenübungsplatz befindet), dass uns kurz das Herz stehen bleibt und vor unserem inneren Auge James-Bond-Filmszenen ablaufen. Nur dass normalerweise der Bösewicht in Scheiben gesäbelt wird. War aber wohl alles Teil des Manövers. Wir fahren unbehelligt weiter, kurze Zeit später über die polnische und noch ein bisschen später auch schon über die tschechische Grenze. Die letzten 20 Minuten schraubt sich unser braver Bus eine sehr schmale Straße den Berg hinauf, vorbei an knorrigen Häusern und alten, backsteinernen Fabrikschornsteinen. Im Wald liegen mit dicken Moospolstern überzogene Felsen, die nach einer der vielen Haarnadelkurven plötzlich weiß überzuckert sind.
Hurra! Es liegt tatsächlich Schnee! Die Wettervorhersage samt Schneehöhenreport war in den letzten Wochen so unentschlossen, dass wir keine Ahnung hatten, was uns erwartet.
Als wir in unserer Ferienwohnung ankommen, dämmert es schon. Unsere Gastgeberin Katka erwartet uns und zeigt uns kurz alles Wichtige in der Wohnung. Als sie erwähnt, dass gleich hinter dem Haus eine Ski- und Rodelpiste liegt, steigen wir kurzentschlossen noch mal in unsere dicken Klamotten, holen die mitgebrachten Schlitten aus dem Bus und kraxeln den Berg hinauf. Das erste Stück ist eine kleine Straße und die ist spiegelglatt. Áuf der Piste haben unsere Stiefel mehr Halt, sie ist dafür ziemlich steil. Darauf hat uns die popelige Schlittenwiese zuhause, im Kreuz“berg“er Park, nicht vorbereitet. Trotzdem wollen wir nach ganz oben! Und dann: Wo-hooooooo! sausen wir im Mondlicht den Berg hinunter. Der Co-Jäger vorneweg, um den Bremsweg zu testen. „Noch mal!“, jauchzt die kleine Co-Jägerin, als wir unten angekommen sind.
Während unserer Urlaubswoche erleben wir Tauwetter, Frühlingswetter, Schneegestöber und Frost in bunter Mischung. Und auf der Rodelpiste ein Live-Experiment: Wie gut kommen wir bei welcher Witterung den Berg hinauf? Wie weit rutscht der Schlitten auf Altschnee, Pulverschnee, Schneematsch und vereister Piste? Noch viel spannender findet die kleine Co-Jägerin allerdings den Skilift. Wir bekommen sie kaum von der Talstation weg, wo sich die Bügel unermüdlich an ihr vorbei drehen und einen Skifahrer nach dem anderen den Berg hinauf schieben. Erst als sie zwei, drei Mal beobachtet, wie ein deutlich älteres Kind aus dem Lift purzelt, glaubt sie uns, dass sie damit noch nicht „ganz alleine!!!“ fahren kann.
Das Gute an so viel körperlicher Aktivität ist ja: Die deftige böhmische Küche (auf die wir uns sehr gefreut haben) schmeckt noch mal so gut und an die Kalorien der Sahnesoßen, die es großzügig zu jedem Essen gibt, muss man keinen Gedanken verschwenden. Da passt sogar noch ein Stück warmer (!) Quarkkuchen obendrauf, der so sagenhaft gut schmeckt, dass man ihn auf gar keinen Fall bereuen kann. Leider wird er im U Smutných nicht jeden Tag gebacken, stellen wir bedauernd fest, als wir das schöne Restaurant mit dem offenen Kamin an unserem letzten Abend noch mal besuchen.
Bedrichov liegt auf 810 Metern Höhe und ist ein wunderbar ursprünglicher Ort mit wenigen hundert Einwohnern. Keine Retortenarchitektur, keine Hotelbunker, sondern vor allem hübsche, holzverschindelte Häuser mit buckeligen Dächern und ganz oben am Berg ein altes Kirchlein. Obwohl gerade Winterferien im nur andertalb Stunden entfernten Sachsen sind, treffen wir vor allem tschechische Familien, überwiegend mit kleinen Kindern. Aber beinahe alle Einheimischen, selbst die Nachbarn unserer Ferienwohnung, sprechen fließend Deutsch oder ansonsten Englisch. Gut für uns: Wir beherrschen gerade mal Dobrý Den.
Am Haupthang, von uns aus etwa zwei Kilometer die Dorfstraße rauf, gibt es mehrere längere Abfahrten (eine davon nachts beleuchtet), einen Bereich für Skianfänger und ein abgetrenntes Areal mit Fließband-Skilift für die ganz Kleinen. Als wir das entdecken, juckt es den Co-Jäger, der selbst schon als Knirps auf Brettern stand, plötzlich doch in den Füßen. Und als der Skiverleih dann auch noch eine passende Ausrüstung für unsere Kleene hat (die sie mit leuchtenden Augen anprobiert), darf sie einen Tag lang mit dem Papa auf die Piste.
Ich fotografiere, bis sich meine Finger in Eiszapfen verwandelt haben, und hole mir dann ein „Original Canadian“ Heißgetränk namens Hot Apple, das vor meinen Augen angerührt wird. Auch die Snacks, die man an den beiden Hütten direkt an den Pisten bekommt, können leider nicht mit dem mithalten, was wir aus Österreich kennen. Ein sehr dringlicher Hunger bringt uns dazu, fetttriefende Pommes und Burger mit fragwürdiger Soße zu essen, die, statt mit einem Hackfleischbratling, mit etwas Fleischkäse Ähnlichem belegt sind. Dafür hat der Koch aber einen ziemlich guten Musikgeschmack.
Auch der lästige Trend, sein Essen mit dem Handy zu fotografieren, scheint noch nicht in Bedrichov angekommen zu sein. Ich mache das natürlich aus beruflichen Gründen… und fange sowohl am Skilift als auch im Restaurant erstaunte bis amüsierte Blicke auf. Als ich hingegen die freundliche Wirtin nach dem Quarkkuchen frage (in der Annahme, es sei eine tschechische Spezialität), stutzt sie kurz und fängt dann an, mir das Rezept zu erklären. Verlegen unterbreche ich sie und frage noch einmal genauer nach. Daraufhin schreibt sie mit nachsichtiger Verwunderung Tvarohový Kolàc auf ihren Block. Übersetzt: Käsekuchen. Das Geheimnis liegt also beim Bäcker.
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